Im italienischen Halbschatten einer Weinviertler Piazzetta ordere ich Latte Macchiato und lege die Sonnenbrille vor mir auf das Gittertischchen. Il padrone nimmt die Bestellung auf, lächelt mir zu in seinem weißen T-Shirt. Er spricht zu mir als einer Ebenbürtigen, nicht herab von seinen ein Meter neunzig.
Ich lehne mich zurück. Lasse mich wärmen von den Sonnenstrahlen, die noch wohltuend, nicht bedrohlich sind. Lasse mich wärmen auch von il padrones aufmerksamem Blick, der mir nicht entgangen ist.
Wann hat das begonnen, dass man als Zustand wahrgenommen wird? Nicht mehr als wandelnde Halbwüchsigkeit, als personifizierte Vorläufigkeit. Als wäre man als ganzer Menschenkörper ab einem gewissen Punkt nicht mehr in Prozess begriffen. Als wäre irgendwann das eigentliche Ich erreicht, jenes, dessen Abbild auch noch in zwanzig Jahren von der Firmenwebsite lächelt, das Ich, das „Sie“, in dessen Augen man zu blicken versuchen wird, wenn das Rundherum längst zerflossen ist.
Ich sehne mich nicht zurück nach der zur Schau gestellten Unfertigkeit, die sich nicht verbergen lässt. Dabei weiß ich, dass sie ehrlicher gewesen ist als dieses trügerische Bild vom Zustand, der sich doch nicht als Aggregat fassen lässt.
Il padrone serviert mir den Kaffee mit galanter Routiniertheit. Stellt nicht infrage, ob ich ihn trinken sollte, ob ich ihn zahlen kann. Dem Zustand wird vertraut, wird zugemutet. Der Zustand wird um Hilfe gebeten, darf Koffer beaufsichtigen und Wege erklären. Dem Zustand kann man ebenso eine Hundeleine in die Hand drücken wie einen Hotelzimmerschlüssel, single room.
Der Zustand versteht sich nicht von selbst. Der Zustand muss etwas vorweisen können. Muss seine potenzielle Energie längst in kinetische gewandelt haben.
Scheint noch zu viel übrig vom Potenzial, macht der Zustand sich verdächtig. Spricht man ihm seine Fertigkeit unbesehen ab. Wird il padrone nicht zu fragen wagen, ob der Zustand denn schon hier gewesen sei.
Ich blicke mich um, sehe Lady Di und gut eingepackte Zerflossenheit an den Tischen ringsum. Bemühe mich, die Spannung zu spüren, die in allen diesen Körpern steckt. Denen das Zustandsein zu- oder schon wieder abgesprochen wird. Bemühe mich, es zu sehen, das Funkensprühen der Potenziale in den Gesichtern.
„Buongiorno“ rufen die siebzigjährigen schlanken Fesseln neben mir il padrone zu. Das, muss ich zugeben, hat sich mein ganzer Zustand nicht getraut.