Steine

Zusammengerollt liegst du da. In Embryonalstellung. Du hast die Augen geschlossen. Denn du willst nichts mehr sehen. Du hältst dir die Ohren zu. Denn du willst nichts mehr hören. Verschließt deine Lippen. Damit nichts mehr hindurchkann. Damit sie dir nicht mehr ihre übervollen Löffel in den Mund zwingen können. Mit all dem Unverdaulichen darauf. Den Versicherungen. Den gut gemeinten Worten. Das willst du nicht mehr schlucken. Alles in dir ist bereits jetzt zum Bersten gespannt. Ein schwarzer Stein hat sich in den letzten beiden Tagen in deinen Eingeweiden eingenistet. Du streckst deine Beine aus und fühlst den sich gürtelförmig ausbreitenden kalten Schmerz. Dann beißt du in deinen Handrücken. Fest. Bis du Kupfer schmeckst. Und lässt es schließlich. Um laut zu schreien.

Zuerst ist da nur dieses felsgraue Rauschen gewesen. Sehr schnell anschwellend. Und dann war es urplötzlich da, das lehmbraune Band. Welches die ganze Straße und die angrenzenden Gärten ausgekleidet hat. Sich anschmiegend an die Mauern der Häuser. Die Fenster bedeckend. Weiße Schaumkronen leuchteten auf, wenn die Welle über ein Hindernis glitt. Oder wenn sie brach an dem mächtigen entwurzelten Baum, den sie mitführte und der sich verkeilt hatte zwischen zwei Hauswänden. Geblieben waren ihm nur wenige biegsame Äste. Ein schlappes Planschbecken hatte sich im spärlichen, entlaubten Geäst verfangen. Die Woge riss alles mit, was sich auf ihrem Weg befand. Autos, Fahrräder, Gartenliegen, Trampoline, buntlackierte Schaukelgestelle.
Und Menschen.

Du bist aufgestanden und schaust aus dem Schlafzimmer-Fenster im ersten Stock. Dunkle Schatten kauern unter deinen Augen. Das Wasser hat sich ausgetobt und ist längst weitergezogen. Die mit Straßenmalkreide gezeichneten Hüpfkästchen sind nicht mehr zu sehen auf dem Gehweg. Wahrscheinlich sind sie weggewaschen worden, denkst du dir. Schwer zu sagen, ob da noch ein kleiner Rest Farbe ist, denn die Stelle ist überdeckt mit feinem Flusssand. Die winzigen Steinchen glitzern in der Sonne.

Claudia Woitsch
Claudia Woitsch
Articles: 3